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Spur Sechs
Festgefahren
von B.(von "M. und B.")
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Die junge blonde Frau, eine Bahnangestellte, kam auf Klara zu. Sie war für solche Situationen nicht geschult, wie die Stewardessen, die sie insgeheim beneidete. Sie selbst hatte sich als Stewardess beworben, war aber abgelehnt worden. Dabei war ihr großer Wunschtraum die Fliegerei gewesen und die Pilotenausbildung konnte sie sich beim besten Willen nicht leisten. Außerdem fehlte ihr der entsprechende Schulabschluss. So raste sie Tag für Tag auf Schienen durch Europa und verkaufte Kaffee und Brezel an Reisende.

Und jetzt das. Sie selbst hatte einen Schock und die Bahngäste fingen an zu weinen. Sie legte einen Arm auf die Schulter von Klara und sagte: "Nur die Ruhe. Ich werde den Schaffner fragen, wann wir hier wieder wegkommen. So schlimm wird es schon nicht sein. Ist ja kein Flugzeugabsturz."

Klara blickte auf. "Sie haben gut reden. Sehen Sie nicht, dass wir abrutschen werden?"

Von Abrutschen kann gar nicht die Rede sein. Ich werde jetzt Verbandszeug holen und etwas zum Aufwischen. Bitte beruhigen Sie sich!"

Thomas stand auf, an seinen Kopf das Taschentuch von Izabella gedrückt. Er war ziemlich bleich und sagte zu der blonden Servicefrau: "Ich komme am Besten mal mit. Ich denke ich brauche einen Druckverband."

Ok, kommen Sie", entgegnete die junge Frau und hakte Thomas ein.

Izabella wollte eigentlich mitgehen um Thomas zu helfen, aber als sie sah, wie Thomas diese Frau anlächelte und sich auf sie aufstützte, setzte sie sich wieder etwas angesäuert. Sie war ihm gleich zur Hilfe gekommen und jetzt das. Sie ertappte sich dabei, dass sie einen gewissen Anflug von Eifersucht verspürte. Diesen Gedanken verdrägte sie aber schnell. "Lächerlich!" sagte sie laut zu sich selber, um den Gedanken zu entkräften. Sie und eifersüchtig! Und dann auch noch auf diese unbekannte junge Frau wegen eines fast noch unbekannten jungen Mannes.

Wie bitte? "fragte Ludwig. "Ach nichts!" entgegnete Izabella. "Wie auch immer", sagte Ludwig, "Sie passen jetzt mal bitte auf meine Frau auf. Ich werde mit dieser Bahnangestellten gehen und dem Schaffner mal gehörig auf den Zahn fühlen. So etwas darf nicht passieren! Und damit wir uns richtig verstehen", setzte er in Richtung Berthold hinzu, "Sie kommen mit. Mit ihnen hab ich auch noch etwas zu bereden und wir wollen ja nicht, dass sich gewisse Dinge wiederholen!"

Berthold zuckte mit den Achseln. "Meinetwegen komme ich mit. Ich möchte mir sowieso mal die Beine vertreten. Aber keine Gewalttätigkeiten mehr!"

So verließen Thomas, Ludwig und Berthold zusammen mit der Blondine das Abteil. Im Hinausgehen fragte Berthold die Bahnangestellte nach ihrem Namen. "Mein Name ist Lisa." antwortete sie ihm charmant. Mit einem leisen Schlag schloss sich die Abteiltür.

Izabella verdrehte innerlich die Augen. Ihr war diese Lisa irgendwie unsympathisch. Eine Zeit lang saß sie gedankenverloren einfach nur da, als sie plötzlich bemerkte, dass ja auch noch Klara im Abteil saß. Sie sah immer noch sehr mitgenommen aus. Dieser Eindruck wurde durch ihren zerrissenen Rock und ihre immer noch halboffene Bluse verstärkt.

Wie geht es Ihnen eigentlich?" fragte Izabella.

Klara fing wieder heftig an zu schluchzen. "Wenn Sie wüssten! So habe ich mir meinen Urlaub nicht vorgestellt. Wir sitzen hier fest und überhaupt. Mein Mann muss immer allles übertreiben. Immer muss er sich so aufführen. Ich habe Angst, dass er mit diesem Berthold wieder einen Streit vom Zaun brechen wird. Tag ein Tag aus ist er nur unfreundlich zu den Menschen und beschuldigt sie grundlos. Ganz zu schweigen von mir. Ich habe gar nichts zu sagen, dabei tue ich alles für ihn. Ich habe keine eigenen Wünsche mehr."

Bedrückende Stille machte sich breit. Izabella wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie wollte sich nicht in eine abgedroschene Redewendung flüchten. Doch Klara hatte Vertrauen zu Izabella gefasst. All ihr Leid brach aus ihr heraus: "Alles habe ich immer für ihn gemacht. Selbst mein Kunststudium habe ich abgebrochen, dabei bedeutet mir Kunst sehr viel. Ich habe auch immer selber gerne gemalt, aber Ludwig hat dafür keinen Sinn. Er findet immer etwas an meinen Bildern auszusetzen, dabei hätte ich so gerne einmal ein kleines Atelier eröffnet. So ein kleines gemütliches und oben drüber im Dachgeschoss wäre mein Studio gewesen."

Klara hielt inne. Sie holte einen kleinen Spiegel heraus und blickte hinein. "Ich sehe ja schrecklich aus. Izabella setzte sich näher zu ihr und sagte sanft. "Kommen Sie, ich helfe ihnen. Ich glaube, ich habe Abschminktücher dabei und vielleicht haben Sie ja auch noch einen anderen Rock im Gepäck!" "Danke!", erwiderte Klara, "danke auch fürs Zuhören."

Die beiden Frauen suchten beide emsig in ihren Taschen nach Utensilien, und Izabella half Klara dabei, sich wieder herzurichten.

Nach einer Weile knatterte eine Lautsprecheransage durch alle Abteile: "Liebe Passagiere. Wir entschuldigen uns für den Zwischenfall. Anscheinend wurden die Gleise manipuliert. Es besteht aber kein Grund zur Beunruhigung. Die Polizei und ein Bergungsteam wurden alarmiert. Bitte stellen Sie sich aber noch auf einen Aufenhalt von mindestens drei Stunden ein. Es gab keine größeren Verletzungen. Dennoch möchten wir jeden Arzt bitten in den vorderen Zugteil zu kommen, wir haben hier einen Passagier mit einer Platzwunde. Bitte bleiben Sie in ihren Abteilen. Bei Fragen steht ihnen das Zugpersonal zur Verfügung."

Kurz darauf kamen Ludwig und Berthold wieder ins Abteil. Seltsamerweise hatten sie sich wohl zusammengerauft und sahen wie sie sich nebeneinander ins Abteil setzten fast schon wie Kumpels aus. Sie verkündeten, dass Thomas beim Schaffner im Serviceraum des Zuges geblieben war. Berthold erklärte: "Er hat eine Platzwunde und Lisa sucht im Zug nach einem Arzt. Seine Wunde muss eigentlich genäht werden!"

Izabella verspürte einen Stich. Eigentlich wollte sie nach ihm schauen, aber anscheinend kümmerte sich diese Lisa ja schon um alles. Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte übernahm Ludwig das Wort. "Wir werden hier wohl noch eine Weile bleiben müssen. Sie schicken ein Bergungsteam, aber das kann erst in zwei Stunden hier eintreffen und bis der Zug wieder flott ist kann es noch mehrere Stunden dauern. Ich habe verlangt, dass jemand uns schon vorher abholt und zum nächsten Bahnhof fährt, aber der Schaffner meinte, dass könnte auch schwierig werden. Hier im waldigen Gebiet kann kein Hubschrauber landen und auch für Militär-Geländefahrzeuge ist es eine lange Strecke hierher."

Klara seufzte. Berthold ergriff wieder das Wort: "Wie meinen die Damen könnten wir uns die Zeit denn vertreiben, nachdem wir hier ein bißchen aufgeräumt haben?" Er hatte von Lisa einen Wischlappen und Tücher mitbekommen, verteilte die Tücher und jeder nestelte eine Zeit lang im Abteil herum. Ludwig schob den umgekippten Servicewagen in den Gang und fragte in die Runde: "Schon irgendwelche Ideen?"

Izabella meldete sich zu Wort: "Haben Sie denn Bücher mit? Ich liebe Bücher. Vielleicht könnten wir uns ganz altmodich etwas vorlesen. Leider habe ich aber kein Buch dabei."

Klara zog eine Ausgabe von "Mansfield Park" von Jane Austen aus ihrer Tasche. Ludwig ließ seinen Koffer aufschnappen und hielt ein Buch in die Höhe: "Wie passend: 'Mord im Orientexpress' von Agatha Christie. Na, wollen wir hoffen, dass uns das wenigstens noch erspart bleibt."

Berthold blickte amüsiert in Izabellas Richtung und sagte schelmisch: "Oh ja, eine Märchenstunde! Ich habe 'Das Dekameron' von Boccaccio dabei. Womit fangen wir an?"

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8.2.2006