







 
|
Es war Ludwig, der die erste Novelle aus dem Buch vorzulesen begann, doch obwohl Izabella den Vorschlag gemacht hatte, war sie es, die gar nicht zuhörte und mit dem Gedanken abschweifte. Sollte sie sich nicht doch einmal um Thomas kümmern? Dabei ertappte sie sich selbst, dass es ihr hier weniger um seine Gesundheit ging, sie wusste ja, dass er gut versorgt war, es beunruhigte sie eher wer ihn versorgte. War das Eifersucht? Sie kannte den Mann doch erst gerade ein paar Stunden.
Sie ließ ihren Blick aus dem Fenster schweifen und starrte in Gedanken vertieft in den Wald hinein als sie plötzlich aufschrak, und ganz gespannt aus dem Fenster blickte. Ludwig hörte auf zu lesen als er es bemerkte und die anderen Anwesenden im Abteil folgten dem Blick von Izabella und suchten, was sie denn da im Wald gesehen hat. Doch sie sahen nichts. Izabella sprang aber plötzlich auf und verließ das Abteil. Die anderen blickten sich verwundert an und schauten gleichzeitig wieder zum Fenster, ob ihnen doch etwas entgangen war, doch sie sahen Bäume und nichts als Bäume.
Izabella war im Zwischenabteil angekommen und sah, dass der Vierkantschlüssel noch immer in der Entriegelung der Tür steckte. Dann schaute sie nach draußen und stellte fest, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Sie hatte vorhin den Mann, der nach der Vollbremsung ausgestiegen war und sie auch zum Aussteigen bewegen wollte, am Wald gesehen. Sie hatte sich auch eingebildet, dass er ihr mit einem Kopfnicken ein Zeichen gab ihm zu folgen, ehe er hinter einer Eiche und dann aus ihrem Blickwinkel verschwand. Jetzt stand er genau zwischen zwei großen Bäumen, so dass man ihn vom ganzen Zug aus nicht sehen konnte, nur aus dem Fenster der Tür aus der er vorher gestiegen war. Ungläubig starrte Izabella aus dem Fenster. Konnte das sein? Sie waren doch schon wieder ein ganzes Stück gefahren. Der Mann winkte ihr zu ihm zu kommen. Izabella lief es eiskalt den Rücken herunter. Sie bekam Angst. Was war da los? Was wollte er von ihr? Sie kannte ihn doch gar nicht! Sie hatte ein ungutes Gefühl, sogar Angst, und trotzdem wanderte Ihre Hand wie ferngesteuert in Richtung des Schlüssels. Sie begann zu zittern, Schweiß stand ihr auf der Stirn, doch ihre Hand griff nach dem Schlüssel und begann ihn zu drehen. Dem Mann draußen zauberte dies ein leichtes, gefährliches Grinsen ins Gesicht. Plötzlich spürte sie eine Hand auf Ihrer Schulter. „Hallo, da bin ich wieder“. Izabella zuckte erschrocken zusammen und fuhr herum, starrte Thomas erschrocken an, dann ein Blick über die Schulter aus dem Fenster. Der Mann war weg und sie fiel Thomas in die Arme und drückte ihn ganz fest. Thomas blickte auch aus dem Fenster um zu sehen, was da draußen Izabella leichenblass werden ließ.
Izabella fühlte sich geborgen und sicher in Thomas' Armen. Es tat ihr gut, wie Thomas mit seiner Hand tröstend leicht am Rücken auf und ab streichelte. „Welcher Geist ist Dir denn erschienen?“ fragte Thomas. Izabella nahm den Kopf von seiner Schulter, blickte Thomas an und schüttelte leicht den Kopf. Erst jetzt bemerkte sie, welchen Turban man Thomas als Kopfverband aufgesetzt hatte und es kam sogar ein leichtes Lächeln über ihre Lippen. Vorsichtig streichelte sie mit Ihrer Hand über den Verband: „Tut es sehr weh?“ „Es pocht nur ein bisschen“, erwiderte Thomas und sie blickten sich tief in die Augen. Gerade noch fühlte sich Izabella wie in einem Horrorfilm und nun war sie in einem Moment gefangen, den sie am liebsten nicht mehr verlassen mochte. Noch immer hatte Thomas seine Arme um ihre Hüften gelegt und sie fühlte sich so warm und geborgen und so sicher, dass sie den Mann draußen im Wald ganz vergaß. Langsam näherte sie ihre Lippen an seine, kurz bevor sich ihre Lippen berührten, legte sie ihren Kopf auf seine Schulter und meinte: „Tut mir leid, aber momentan ist das alles ein bisschen viel für mich.“ Thomas nahm ihre Schultern in die Hände, drückte sie etwas zurück um ihr ins Gesicht sehen zu können und lächelte sie an: „Ist schon O.K.“, gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen und drückte sie wieder fest an sich.
"Was ist denn in die gefahren“ unterbrach Berthold das erstaunte Schweigen im Zugabteil. „Keine Ahnung“, entgegnete Ludwig „es sah ja glatt so aus als hätte sie ein Gespenst gesehen. Der Zug ist doch nicht ins rutschen gekommen, oder?“ „Nicht dass ich was gemerkt hätte“ antwortete Berthold. In diesem Moment wurden sie aber unterbrochen vom Klingeln des Handys in Klaras Handtasche. Sie zog es hervor und schob ihrem Mann noch ein „Gerd“ zu, bevor sie abnahm. ... „Ja, das ist unser Zug, der da entgleist ist, aber uns geht es den Umständen nach gut" ... „Nein mach Dir keine Sorgen, wir wissen nur nicht wie es weitergeht, aber es ist gut zu wissen, dass die Außenwelt Bescheid weiß“ sagte Klara ins Telefon und lächelte.
Berthold stand auf, um auf die Toilette zu gehen. Im Zwischenabteil traf er dann auf Izabella und Thomas, die sich in den Armen lagen. Er sagte nichts und die beiden schienen ihn auch gar nicht zu bemerken, wie er hinter ihnen die Tür zur Toilette öffnete und darin verschwand. „Thomas ist schon ein Glückspilz“, dachte er sich „diese Izabella ist schon eine verdammt hübsche Frau“. Dabei merkte er, wie sehr er sich nun Susanna herbeisehnte. Aber um nicht aufzufallen, hatte sie den Zug zwei Stunden später genommen und nun hätte er sie so gerne bei sich.
Nachdem er sein „Geschäft“ verrichtet hatte, öffnete er die Toilettentür und ging ins Zwischenabteil. Izabella und Thomas waren bereits gegangen, da klopfte es von außen an der Tür. Erstaunt ging Berthold zur Tür und blickte aus dem Fenster nach unten und sah einen Mann, der sich ganz schön strecken musste um zur Tür zu kommen. Berthold suchte nach einer Möglichkeit die Türe zu öffnen und sah den Vierkantschlüssel, betätigte diesen und die Tür ging auf. Er reichte dem Mann die Hand und zog ihn hoch in den Zug. „Was machen sie denn da draußen?“ fragte Berthold. „Ich hatte eine Panik und bin deshalb nach dem Unfall nach außen gesprungen, aber da ist ja nur Wald, da verirrt man sich ja, wenn man sich auf eigene Faust durchschlägt“ antwortete der Mann. „Sie sind verletzt“, sah Berthold „gehen Sie doch nach vorne im Zug und lassen sich dort behandeln“. „Ja, das werde ich wohl besser tun“, sagte der Mann und verschwand. Berthold blickte ihm noch hinterher und wunderte sich erst jetzt, warum denn die Türe wieder zu war, nachdem der Mann sie doch scheinbar gleich nach dem Unfall mit dem Schlüssel aus der Notfallbox geöffnet hatte. Seltsam! Aber ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen, ging er zurück zu seinem Zugabteil.
Lisa durchkämmte jedes Zugabteil, um nach Verletzten zu suchen, nachdem sich mittlerweile doch mehrere Verletzte gemeldet hatten. Glücklicherweise hatte sie einen Arzt gefunden, der nun im ersten Waggon die Verletzten versorgte. Bisher waren es aber nur Platzwunden, Schürfungen und ein Armbruch, aber man musste schon sicher gehen, dass nicht noch irgendwo ein Schwerverletzter im Zug war. Im Gang kam ihr ein Mann entgegen. Er taumelte und war sehr weiß im Gesicht. Der Ärmel seiner Jacke war blutgetränkt. „Um Gottes Willen, kommen Sie mit nach vorne, das muss untersucht werden“ sagte Lisa, aber ohne auch nur ein bisschen Notiz von ihr zu nehmen, ging der Mann an ihr vorbei. Erstaunt blickte Lisa ihm nach. „Was ist denn das für ein Gespenst?“, dachte sie sich und überlegte, ihm zu folgen, um ihn zum Arzt zu bringen, aber er schien ja selber nach vorne zu gehen, also beschloss sie, die Suche nach weiteren Verletzten fortzusetzen. Der Mann drehte sich um, sah ihr nach. „Sie hat mich nicht erkannt, aber ich sie, und das obwohl sie sich schnell die Haare gefärbt hat.“ Mit einem hämischen Grinsen im Gesicht machte er die Tür des leeren Zugabteils auf und setzte sich.
Eigentlich wollten sie sich ja nach der ganzen Aufregung einen Kaffee gönnen und sich ein wenig unterhalten, um sich ein bisschen kennen zu lernen, außerdem hatte Thomas bemerkt, dass er bei seinem letzten Restaurantbesuch versehentlich die Zeche geprellt hatte und er wollte seine Schulden begleichen. Dort angekommen bot sich aber eine Spur der Verwüstung. Die Restaurantausstattung lag kreuz und quer herum und der Waggon lag so schief, dass man kaum noch laufen konnte ohne zu rutschen. Hier würden sie wohl keinen Kaffee mehr bekommen, also entschlossen sie, zurück ins Zugabteil zu gehen. Izabella sah Thomas an, lächelte und küsste ihn. Thomas konnte es eigentlich nicht glauben. Er hatte sich nach der Trennung eigentlich vorgenommen erst mal die Finger von Frauen zu lassen und sich nur um sich und seine Interessen zu kümmern. Außerdem glaubte er nicht an Liebe auf dem ersten Blick, das passiert doch nur Leuten, die sich rein vom optischen beeinflussen lassen, und das war ihm zu oberflächlich. Jetzt hatte es ihn aber erwischt. Izabella sah zwar sehr gut aus, er spürte aber auch, dass da eine ganz besondere Verbindung zwischen ihnen war, obwohl sie sich doch erst seit ein paar Stunden kannten.
Auch Izabella hatte Markus inzwischen völlig verdrängt. Hatte sie doch noch so gewünscht, dass er doch noch in den Zug steigt, so war sie nun heil froh, dass er nicht gekommen war. Sie fühlte sich mit Thomas trotz des ganzen Chaos und des mysteriösen Mannes sicher und geborgen. Er war immer Herr der Lage und das obwohl er sich doch selbst bei dem Unfall so stark verletzt hatte. Es war ihr egal, was Elena sagen würde, sie konnte es ja gar nicht beurteilen. „Hast Du eigentlich ein Hotel gebucht?“, fragte Sie. „Nein,“ sagte Thomas „ich dachte es ist Nebensaison, da sind die bestimmt nicht ausgebucht, außerdem war das Ganze so kurz entschlossen, dass ich gar keine Zeit dafür hatte.“ „Dann komm doch einfach mit zu meiner Schwester, sie hat ein Gästezimmer und dann können wir ja zusammen den Spuren da Vincis folgen, das ist besser als wenn ich mir den ganzen Tag die Maßregelungen meiner Schwester anhören muss.“ „Ich kann doch nicht einfach bei Deiner Schwester einziehen“, sagte Thomas. "Nein lass mal, ich nehme mir ein Hotel. Aber mit Dir meinen Urlaub zu verbringen, würde mich sehr freuen!“ „Keine Widerrede! Meine Schwester wohnt in Trespiano, das ist ein idealer Ausgangspunkt, um da Vincis Spuren zu verfolgen. Aber erst mal müssen wir überhaupt nach Florenz kommen.“
In diesem Moment erklang es aus den Bordlautsprechern: „Meine sehr verehrten Damen und Herren. Aus noch ungeklärter Ursache ist unser Zug aus den Gleisen gesprungen und an eine Weiterfahrt ist damit heute nicht zu denken. An einen Einsatz von Bussen, die sie weiterbringen, ist hier auch nicht zu denken. Die Rettungsteams sind auf dem Weg hierher und man hat uns mitgeteilt, dass ein anderer Zug auf dem Parallelgleis anhalten soll und man dann Notbrücken baut, damit sie umsteigen können und somit weiter kommen. Dies wird aber noch etwa eine Stunde dauern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit“.
„Na, nun wissen wir doch, dass es bald weitergeht“, sagte Thomas. „Lass und zurück ins Abteil gehen.“ Er küsste sie auf die Wange und sie gingen wieder nach vorne Richtung ihres Abteils. In diesem Moment kam ein lautes Knarren aus dem Speisewagen und es wackelte wie bei einem Erdbeben. Aus einigen Abteils konnte man ein lautes Kreischen hören. Izabella und Thomas schreckten auf. Oh mein Gott, der Zug wird doch nicht ins Rutschen kommen.
|